Die Stadt Marl war mit vier Mitgliedern der politischen Gruppierung im Stadtrat auf dem Städtetag in Nürnberg vertreten
Die Städte in Deutschland haben ihren Willen und ihre Bereitschaft betont, sich den aktuellen Herausforderungen von Zu- und Abwanderung, Investitionsbedarfen, Finanzschwäche, Demografie, Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu stellen und geeignete Lösungen zu entwickeln. Das hat der Deutsche Städtetag heute zum Abschluss seiner Hauptversammlung in Nürnberg unter dem Motto „Heimat. Zukunft. Stadt“ in einer „Nürnberger Erklärung“ deutlich gemacht.
Nürnberger Erklärung zur 39. ordentlichen Hauptversammlung des Deutschen Städtetages
vom 30. Mai bis 1. Juni 2017 in Nürnberg
Heimat • Zukunft • Stadt
Deutschland braucht lebenswerte Städte
Deutschland ist ein Land der Städte, die Mehrheit der Menschen lebt hier. Die Städte sind Mittelpunkt des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Sie übernehmen Verantwortung für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger, für politische Stabilität und sozialen Zusammenhalt in unserem Land. Denn kommunale Selbstverwaltung bedeutet lokale Demokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger Politik und Gesellschaft mitgestalten können. Die Städte wollen Gegenwart und Zukunft prägen und Antworten auf die Herausforderungen von Zu- und Abwanderung, Investitionsbedarfen, Finanzschwäche, Demografie, Klimaschutz und Nachhaltigkeit finden. Sie stehen – allein oder in Netzwerken mit anderen Städten – als Partner von Bund und Ländern bereit, um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern. Partnerschaftliches Miteinander bedeutet aber auch, als Partner respektiert und vor schleichender Überlastung und Fremdbestimmung geschützt zu werden.
Städte sind Heimat
Städte sind Orte des Wohnens, der Kultur, der Wirtschaft und des Handels. Sie sind mehr als Arbeitsplatz oder Wohnort. Städte bieten Teilhabe und Identifikation. Wenn zunehmend Menschen in die Städte ziehen, dann ist das Herausforderung und Bestätigung zugleich. Herausforderung, weil gerade die besonders attraktiven Städte an Grenzen des Wachstums stoßen. Und Bestätigung, weil viele Menschen gern in Städten leben, in einer Umgebung, die – bei allen Herausforderungen – von Urbanität und ökologischer Verantwortung, Kultur und lebendigen Innenstädten geprägt ist.
Chancengerechtigkeit als Ziel
Die Städte tun ihr Möglichstes, um Chancengleichheit und -gerechtigkeit sicherzustellen. Die soziale Stadt, in der es von der Kita bis zur Hochschule ansprechende Bildungsangebote gibt, in der allen Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird und in der es sich sicher Leben lässt, ist das Leitbild. Die Vielfalt der Stadt lässt Raum für individuelle Lebensformen.
Heimat für alle
Deutschland hat in den vergangenen beiden Jahren fast 1,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Dieser Herausforderung haben sich Bund, Länder und Kommunen gemeinsam gestellt. Ohne das Engagement der Zivilgesellschaft und ohne das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Städten wäre dies jedoch nicht möglich gewesen. Die weit größere Aufgabe wird nun die Integration der Menschen sein, die bei uns bleiben werden. Sie kann nur vor Ort stattfinden, in den Kitas, in den Schulen, am Arbeitsplatz, durch Sport und Kultur, Sprachförderung und berufliche Qualifizierung. Die Kommunen können das, allerdings braucht Integration einen langen Atem und es gibt sie nicht zum Nulltarif. Deshalb wird es insbesondere darauf ankommen, wie es nach 2018 mit der Finanzierung des Integrationsaufwandes durch Bund und Länder weitergehen soll. Und Integration wird nur gelingen, wenn Zugewanderte und einheimische Bevölkerung aufeinander zugehen. Integrationsbereitschaft muss auf beiden Seiten gegeben sein.
Glaubwürdigkeit der Kommunalpolitik
Die Stadt als Gestaltungsraum steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit der lokalen Politik. Nach wie vor genießen die Spitzen einer Stadt ein hohes Ansehen. Die repräsentative Demokratie schafft den Ausgleich der Interessen in der Stadtgesellschaft. Aber es gilt, das Zusammenspiel der Akteure in der Kommunalpolitik immer wieder neu auszurichten und ihre Ergebnisse zu hinterfragen. Erst Transparenz und Erläuterung schaffen Glaubwürdigkeit – Kommunalpolitik muss reden: persönlich, direkt, miteinander. Dabei können andere Formen der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger die repräsentative Demokratie ergänzen und bereichern und die gewählten Verantwortungsträger unterstützen. Frühzeitige Partizipation der Beteiligten erleichtert die Abwägung zwischen widerstreitenden Ideen. Für die Gestaltung einer lebendigen Stadt ist die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen, Politik und Zivilgesellschaft unverzichtbar. Das ehrenamtliche Engagement ist der Kitt unserer Gesellschaft.
Städte sind Zukunft
Gesellschaftliche, technische, wirtschaftliche Entwicklungen – sie haben das Bild der Stadt seit jeher geprägt. Die Stadt verändert sich, mit jeder Entwicklung, immer wieder aufs Neue. Zuwanderung, Globalisierung und in den nächsten Jahren insbesondere Digitalisierung werden das Bild unserer Städte und unser Miteinander verändern. Selbstbewusst und offen gegenüber dem Neuen werden die Städte diesen Veränderungen Rechnung tragen, ohne bewährte Traditionen und Errungenschaften aufzugeben. Bildungschancen von Beginn an Bildung schafft Chancen. Die Städte haben in den vergangenen Jahren viel geleistet, vom Auf- und Ausbau einer flächendeckenden und qualitativ guten Kinderbetreuung über das kommunale Engagement für Schulen bis hin zu den Volkshochschulen und dem vielfältigen Bildungsangebot von kommunalen Bibliotheken, Theatern und weiteren Kultureinrichtungen. Wenn der Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängt, gefährdet das den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft und verfestigt soziale Spaltungen. Deshalb müssen sich Bund, Länder und Kommunen gemeinsam für gute Rahmenbedingungen und für eine Durchlässigkeit des Bildungssystems engagieren. Gute Chancen für alle von Beginn an – hier dürfen die Kommunen nicht alleine gelassen werden. Es geht um die Zukunft Deutschlands.
Wohnen ist Lebensqualität
Wohnen in der Stadt ist für viele Menschen attraktiv. Es wird um mehr Wohnraum für Menschen mit niedrigen Einkommen, aber auch um mehr Wohnungen im mittleren Segment gehen. Die Lebensgestaltung der Menschen, seien es nun Familien, Patchwork, Single oder mehrere Generationen unter einem Dach, wird auch beim Wohnen mehr und mehr eine Rolle spielen. Wir wollen Stadtteile mit einer guten Mischung von Leben, Arbeiten und Einkaufen, in denen Integration statt Verdrängung stattfindet. Neben ausreichenden Fördermitteln für den öffentlich geförderten Wohnungsbau braucht es finanzielle Anreize für den Bau bezahlbarer, frei finanzierter Wohnungen etwa über Investitionszulagen oder ein Baukindergeld. Ein Instrumentenmix ist wichtig. Außerdem muss Bauland mobilisiert werden, dazu bedürfen die Instrumente des Baurechts einer Verstärkung.
Mobilität neu denken
Gesellschaftliche Teilhabe und Wirtschaftsleben sind ohne Mobilität nicht möglich. Städtischer Raum aber ist endlich. Wir müssen jetzt die Weichen stellen für ein modernes Mobilitätsverhalten und eine umweltverträgliche Fortbewegung. Der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) ist und bleibt der Grundpfeiler einer nachhaltigen Verkehrspolitik. E-Mobilität, Carsharing, autonomes Fahren oder das Fahrrad sind dabei keine Gegenspieler. Die Zukunft des Landes hängt auch an der Verkehrspolitik. Bund und Länder müssen in die Verkehrsinfrastruktur deutlich mehr investieren als bisher. Dies gilt insbesondere für den ÖPNV.
Städte als Orte des Zusammenhalts
Kulturelle Vielfalt und zunehmende Individualisierung werden die Stadtgesellschaft verändern. Die Städte müssen dem Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen gerecht werden. Dazu müssen sie versuchen, Ausgrenzung zu verhindern und Teilhabe zu ermöglichen. Dabei hilft zum Beispiel öffentlich geförderte Beschäftigung für die Menschen, die auch in wirtschaftlich guten Zeiten objektiv keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Erst das Miteinander von Menschen unterschiedlicher Einkommensgruppen und verschiedener Herkunft macht Stadt aus. Eine besondere Herausforderung wird dabei die Alterung der Gesellschaft spielen. Viele Menschen werden zukünftig stärker auf Unterstützung angewiesen sein, um ihren Alltag zu bewältigen. Auch hierauf muss die Sozialpolitik Antworten geben.
Ohne starke Städte geht es nicht
Bund und Länder wissen, dass ohne starke Städte in Deutschland kein Staat zu machen ist. Sie müssen den Rahmen schaffen, damit die kommunale Selbstverwaltung kraftvoll und lebendig sein kann. Dazu gehört eine Finanzausstattung, die den breiten kommunalen Aufgaben für die Bürgerinnen und Bürger gerecht wird, notwendige Investitionen gewährleistet und Gestaltungsspielräume
für die Kommunalpolitik sichert bzw. wieder herstellt. Kommunale Investitionen sind nicht Selbstzweck oder gar Wohlfühlfaktor. Sie sind die Grundlagen unseres Wohlstands. Es ist inakzeptabel, dass die Städte trotz der sehr guten wirtschaftlichen Lage nicht ausreichend in den Erhalt der Infrastruktur investieren können. Und wenn der Bund Sozialleistungen ausweitet, darf das nicht auf Kosten der Kommunen gehen. Auch das ist eine Frage des Respekts gegenüber den Leistungen der Städte für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Für Städte in besonders schwieriger finanzieller Lage muss es Perspektiven durch gezielte Unterstützung geben. Dazu gehört auch eine Altschuldenhilfe. Zukunftsfähige Städte sichern die Stabilität im Innern Deutschlands.
Städte leben Europa
Die Demokratie ist eine Erfindung der europäischen Stadt. Lange bevor Nationalstaaten mit den römischen Verträgen Europa institutionalisiert haben, waren die Städte in einem Netzwerk des wissenschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Austausches europäisch denkend und handelnd. Gegenseitiges Verständnis, Zusammenhalt und die Vielfalt Europas ist getragen von Begegnungen und Miteinander auf der kommunalen Ebene. Deshalb funktioniert ein stabiles Europa auch nur im und mit dem Respekt vor der lokalen Demokratie. Die deutschen Städte sind jetzt und in Zukunft dazu bereit.