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Die METRO in Marl

03.10.2017

Chief Financial Officer läuft beim Marler Wirtschaftsempfang auf

Am 20. Oktober laden Bürgermeister Werner Arndt und seine Amtsvorgängerin Uta Heinrich zum Wirtschaftsempfang ins Rathaus. Im Mittelpunkt der Veranstaltung, bei der sich die ‚arme‘ Stadt Marl vom Wirtschaftsclub Marl, dessen Vorsitzende Uta Heinrich ist, Hilfe holen muss, steht Christian Baier, Chief Financial Officer der Metro Wholesale&Food Specialist Company, die sich bekanntlich auf dem Gelände der sog. Westerweiterung mit einem neuen überdimensionalen Logistikzentrum einrichtet. – Lesen Sie passend zum Thema einen Kommentar von Norbert Pfänder unter dem Titel ‚Das Monstrum von Marl‘, der auch in der Zeitschrift AMOS (Nr. 3-2017) veröffentlicht worden ist.

Das Monstrum von Marl

Es liegt in der Landschaft, in einer ehemaligen Industriebrache, im Nordwesten der Stadt Marl direkt neben dem Chemiepark ( welch eine Verballhornung des Wortes Park ), das Logistik-Center von Metro und Real, das sich noch im Bau befindet und Anfang 2018 seinen Betrieb aufnehmen soll. Und wie es sich für ein Monster gehört, hat es riesige Ausmaße und gravierende Folgeerscheinungen. Lagerhallen in Schuhkarton-Optik. Industrie-Brutalismus in reiner Form.

Es benötigt eine Fläche von 235 000 m² , so groß wie 35 Fußballfelder.

Ca. 1 000 Arbeitsplätze würden hier geschaffen, behauptete der Bürgermeister der Stadt Marl, WernerArndt ( SPD). Zunächst wurden durch das neue Logistik-Center erst einmal 1000 Arbeitsplätzean vier anderen Standorten in NRW vernichtet, in Essen, Kamen, Unna und Frechen. Wie immer wenn mehrere Standorte zusammengelegt werden. Die Industrie- und Handelskammer rechnete vor kurzem vor, dass bis Ende des Jahres 2017 im neuen Center 80 neue Arbeitsplätze entstehen werden, mit steigender Tendenz. Die meisten Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor, Mindestlohn und knapp darüber. Diese ergeben später eine Rente, die nicht ausreicht, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Bei den Automatisierungsbestrebungen der Logistik-Branche steht zu befürchten, dass in naher Zukunft in Marl ein Warenverteilungszentrum fast ohne menschliche Arbeitskräfte funktionieren wird. Das Verteilen der Waren per LKWs wird in den nächsten Jahren durch selbststeuernde Fahrzeuge ohne Fahrer erfolgen. Die Automobilindustrie ist gerade dabei, solche LKWs zu entwickeln. Es ist nicht mehr die Frage, ob sie auf unseren Straßen rollen werden, sondern nur noch wann. Es ist ja auch kosteneffizienter, wie es in der Sprache der Logistik-Branche heißt, keine Personalkosten mehr. Im Bereich der Lagerhaltung werden ebenfalls Systeme entwickelt, die die menschliche Arbeitskraft überflüssig machen, vielleicht noch ein paar an den Computer-Bildschirmen, die die Prozesse steuern. In der Sprache der Branche hört es sich so an:

„Mit einem wettbewerbsdifferenzierenden Funktionsumfang wie dem intuitiv nutzbaren PSI-Click-Design und der Release-Fähigkeit auch bei großen Anpassungen, kann die zukunftsfähige Standardsoftware eine langfristige Sicherung bieten und einen optimalen Kunden-Service, schnelle Auftragsfertigung und maximale Versandgeschwindigkeit ermöglichen.“

Wie konnte es zu diesem riesigen Logistik-Center in Marl kommen ?

Die ehemalige Bürgermeisterin der Stadt Marl Uta Heinrich behauptete im Jahr 2000, dass der Chemiepark dringend die Fläche im Norden der Stadt benötigt, um sich auszuweiten, neue Arbeitsplätze zu schaffen und den Standort zu sichern, der Chemiepark sei schließlich der größte Steuerzahler in der Region. Pech nur, dass auf dem Gelände die Schlenke-Siedlung stand, eine Arbeitersiedlung in Backstein-Optik, typisch für das Ruhrgebiet. So wurde gegen den erbitterten Widerstand der Bewohner , die die Siedlung als ihre angestammte Heimat betrachteten, der Ratsbeschluß gefaßt, die Siedlung abzureißen und an anderer Stelle in der Stadt eine neue Schlenke zu bauen und die Bewohner umzusiedeln. Diese erfolgte dann auch mit Millionen Steuergeldern, vor allem des Landes NRW. In der Zwischenzeit lag die Fläche brach, die Industrie bekundete kein Interesse mehr. So vergingen ca 10 Jahre, es sprossen kleine Bäume, ein Rehrudel wurde dort gehalten. Bis die Logistik-Branche im Jahr 2016 auf diesen Standort aufmerksam wurde, nachdem über 40 Kommunen in NRW schon dankend den Bau eines Logistik-Centers abgelehnt hatten. Zuviel Fläche für zu wenig Arbeitsplätze. Auch wenn man die sehr optimistischen Schätzungen von 1 000 Arbeitsplätzen zugrunde legt, ist der Flächenverbrauch immer noch 235 m²/ Arbeitsplatz, ein sehr negativer Wert.

Ab 2018 sollen ca 1 000 LKWs von Marl aus starten, um die Metro- und Real-Filialen mit Waren zu versorgen, so Metro-Logistikchef Jeroen Janssen Lok. Der Güterverkehr per Auto geht ungebremst weiter, Klima-Ziele interessieren nicht, Lärm-Schutz zählt nicht und der giftige Stickoxid-Ausstoß der Diesel-LKWs ist nicht von Interesse. Hier zu fällt einem nur die Fragestellung ein: Ist die Wirtschaft für den Menschen da oder der Mensch für die Wirtschaft ?

Und der Logistik-Wahn in Marl geht weiter. Es existieren Pläne auf dem ehemaligen Gelände der Zeche Auguste Viktoria, die Ende 2015 geschlossen wurde, ebenfalls ein Logistik-Center zu errichten.

Lebensmittel-Discounter und Warenhäuser auf der grünen Wiese mit riesigen Parkplätzen, wie Real und Metro, führen zu Leerständen in den Innenstädten; denn die meisten kleinen Läden können dem Kostendruck der Großkonzerne nicht standhalten, siehe Amazon und das langsame Verschwinden der Buchläden in den Städten. Wer Logistik-Centren sät und Großkonzerne mit Steuermitteln fördert, wird verödete Innenstädte ernten. Schon Herbert Marcuse stellte in seinem Buch „ Der eindimensionale Mensch – Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft“ ein tiefgehendes Unbehagen an der gesellschaftsprägenden Kraft der technischen und ökonomischen Effizienz fest.

In Marl ist dieses tiefgehende Unbehagen zu besichtigen.

Norbert Pfänder

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